Nina

Bloggerin, Sozialpädagogin und Hoch-Risikopatientin

Nina ist 36 Jahre alt, Sozialpädagogin und Bloggerin. Sie sitzt seit etwa 15 Jahren aufgrund einer schweren, fortschreitenden Muskelerkrankung im Rollstuhl. Corona ist für die Kölnerin kein mediales Schreckgespenst, sondern eine reale tödliche Bedrohung! Seit mehr als einem Jahr, genau seit Februar 2020, befindet sich die vor Lebensfreude sprühende Frau in freiwilliger Isolation, um sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen.

Für Nina ist Corona jeden Tag eine ernste tödliche Bedrohung

Eigentlich ist Nina ein sehr aktiver Mensch, sie war vor der Pandemie viel auf Reisen und erkundete Deutschland mit dem Wohnwagen oder bereiste ferne Ländern, um neue Orte zu entdecken und Menschen kennenzulernen. Auch im vertrauten Umfeld war sie ständig on tour, traf sich mit Freunden und der Familie, besuchte Kulturveranstaltungen, pflegte ihre zahlreichen Hobbies wie das Segelfliegen und verbrachte mit ihrer Assistenzhündin Hazel viel Zeit in der Natur. Doch das alles wurde der 36-jährigen durch die Corona-Pandemie genommen: „Jegliche Aktivität beschränkt sich auf die eigenen vier Wände oder auf Spaziergänge in freier Natur mit möglichst wenig Menschen. Ich bin müde und entnervt von all den Beschränkungen und negativen Auswirkungen, welche die Pandemie für uns alle mitbringt.“

Aus der freiwilligen Isolation wurde für die Sozialpädagogin und Bloggerin ein Endlos-Shutdown, der kein Ende zu nehmen scheint. Dieses Gefühl kostet sie unendlich viel Kraft! Obwohl nun langsam die ersten Impfungen im Frühjahr 2021 anlaufen, hat Nina aktuell keine Hoffnung, dass sich ihre persönliche Situation in naher Zukunft ändert. Warum das so ist? „Das liegt vor allem daran, dass ich trotz meiner schweren chronischen Erkrankung leider erst zur Kategorie 2 der Impfkandidaten gezählt werde. Doch damit bin ich nicht alleine, auch viele andere Betroffene, die schwere Vorerkrankungen haben und die zu Hause und nicht in einem Pflege- oder Altenheim leben, wurden bei der Impfpriorisierung schlichtweg vergessen. Wird aus dem Endlos-Shutdown für uns ein Never-Ending-Shutdown?“, fragt die junge beeindruckende Frau.

Tagtäglich schwirren Nina unzählige Fragen durch den Kopf, auf die sie keine Antwort findet und die ein dumpfes Gefühl der Furcht, Ohnmacht und Hilflosigkeit hinterlassen: Wird das Virus jemals wieder ganz aus unserem Leben verschwinden? Wird unser Leben wieder so sein wie vor dem Ausbruch der Pandemie, z.B. dass Menschen ohne Angst und Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln zusammenkommen können? Wird sich die Wirtschaft insgesamt sowie auch die zahlreichen Unternehmen, kleine Betriebe und Gewerke von den finanziellen Einbrüchen durch die Pandemie erholen? Was passiert mit der Reisebranche oder Kunst- und Kulturanbietern – werden sie die Corona Krise überstehen? Welche Spätfolgen kommen auf Personen zu, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben? Welche sozialen Folgen wird diese Pandemie und auch die Zeit des Lockdowns für unsere Gesellschaft haben, z.B. mit Blick auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?
Wie lange wir der Lockdown noch andauern,insbesondere für Menschen, die im Best Case auch trotz Impfung und im Worst Case ohne Impfung ein sehr hohes Risiko tragen an einer Infektion zu sterben? Die Liste der aufkommenden Fragen, die unbeantwortet bleiben, ist für Nina gefühlt endlos.

Die 36-jährige erschüttert sehr, wie viele Leid und Chaos die Pandemie bereits verursacht hat: „Es macht mich sehr betroffen, wie viele Menschen durch die Pandemie unschuldig und unter furchtbarsten Bedingungen ihr Leben verloren haben. So viele Menschen haben eine/n geliebte/n Angehörige/n, Freund/in, Kollegen, usw. verloren. In vielen Fällen war es nicht möglich, die Betroffenen im Sterbeprozess zu begleiten, ihnen beizustehen oder sich nach ihrem Tod angemessen von ihnen zu verabschieden. Ich kann mir kaum etwas schlimmeres vorstellen, als einen Menschen auf diese Weise zu verlieren.“

Weltweit verlieren Millionen von Menschen unverschuldet ihre Jobs, ihre Existenzgrundlagen und Wohnungen. Kindern und Jugendlichen fehlten über Monate der Zugang zu Bildungsangeboten und sie waren innerhalb der Familie extremen Bedingungen zum Teil schutzlos ausgeliefert. Kranke und alte Menschen vereinsamen und sind von Bereichen der Teilhabe und dem sozialen Miteinander komplett abgeschnitten. Für unzählige Menschen fehlen einfach die Hoffnung und Perspektive.

Nina beobachten seit Beginn der Corona-Pandemie mit viel Unbehagen, wie sich die Gesellschaft immer mehr entzweit und in Teilen sogar abspaltet: „Gefühle von Hilflosigkeit, Angst, Unsicherheit, Verzweiflung und Misstrauen haben sich seit Beginn der Pandemie wie ein dunkler Schleier über alles gelegt. Das Corona-Virus und dessen Folgen haben es geschafft Menschen zu entzweien. Die ‚Gemeinschaft‘ auseinander zu treiben.“, so die Kölnerin. „Die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft wurden beispielsweise durch die Schutzmaßnahmen stark eingeschränkt und zum Teil auch beschädigt. Für mich fühlt es sich so an, als ob die Allgemeinheit in zwei Lager gespalten wurde – die Befürworter und die Gegner. Die Schere zwischen Arm und Reich ist noch größer geworden. Das Wir-Gefühl ist ein Stückweit auf der Strecke geblieben.“

Ihre Isolation verlässt Nina momentan nur, um mit ihrer Assistenzhündin Gassi zu gehen. Alle Einkäufe und notwendigen Besorgungen müssen von den persönlichen Assistenten übernommen oder online erledigt werden. Treffen mit Freunden oder Familie finden nicht statt, und auch Arzttermine und Therapien nimmt sie nur sehr eingeschränkt wahr, weil jeder Kontakt ein hohes Risiko bedeutet. „In meiner Wohnung empfange ich keinerlei Besuch außer meiner Ärztin, meiner Physiotherapeutin und meiner Putzfrau. Mein Team aus sechs persönlichen Assistenten unterstützt mich rund um die Uhr bei allen Belangen des täglichen Lebens. In regelmäßigen Abständen müssen sie sich vor Dienstantritt einem Corona-Schnelltest unterziehen und während des gesamten Dienstes FFP2-Atemschutzmasken tragen, was die tägliche Arbeit, insbesondere die Pflege, wesentlich beschwerlicher macht.“

Wie so viele versucht Nina ihre Kontakte zu Freunden und Familie über Telefonate oder Online-Meetings zu pflegen, doch ihr fehlt der Körperkontakt, das Zwischenmenschliche und die Energien, die entstehen, wenn Menschen aufeinandertreffen und sich endlich wieder in den Arm nehmen zu können, ohne Hygiene- und Abstandsregelungen oder einer Maske. „Es fehlt das reale Leben, vor allem an besonderen Tagen. So habe ich z.B. nicht an der Einschulung meines Patenkindes teilnehmen können, habe das erste Mal Weihnachten/Silvester ohne meine Familie verbracht, habe den 40. Geburtstag meiner Schwester nicht miterleben können, konnte eine Beerdigung nicht besuchen und so vieles mehr.“

Die Sozialpädagogin fühlt sich einsam und komplett abgeschottet vom Rest der Welt, sie kann nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen und vermisst Freunde und ihre Familie zutiefst. Ihr fehlt die Leichtigkeit und Unbeschwertheit im Kontakt mit anderen, das Kennenlernen neuer Menschen, die Abwechslung im Alltag. Kurz: Nina vermisst ihr Leben, wie es vor der Pandemie war.

Aber vor allem hat sie Angst: „Ich habe Angst geliebte Menschen, Familienmitglieder an Corona zu verlieren. Und natürlich habe ich große Angst mich selbst mit dem Virus anzustecken, zu erkranken und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Infektion auch daran zu sterben. Obwohl ich mich seit Beginn der Pandemie konsequent in häuslicher Isolation befinde und mein soziales Leben komplett zurückgefahren habe, bin ich durch den täglichen (sehr engen und intensiven) Kontakt mit meinen persönlichen Assistenten doch einem hohen Risiko ausgesetzt, mich anzustecken. Ich bin auf die tägliche Unterstützung durch meine Assistenten angewiesen. Und obwohl sie mein Überleben sicherstellen sollen, gefährden sie es zeitgleich durch ihre reine Anwesenheit. Das ist ein Dilemma und die Angst davor kann krank machen, wenn ich ihr zu viel Beachtung schenke.“

Durch die einschneidenden Veränderungen, die das Corona-Virus für Ninas Leben gebracht hat, empfindet sie heute für viele Dinge, die zuvor selbstverständlich waren, eine noch tiefere Wertschätzung und Dankbarkeit. Schon allein, in einem Sozialstaat und einer Demokratie wie Deutschland leben zu dürfen, in der Menschen Rechte und Freiheiten haben, die Bevölkerung jederzeit und fast unbegrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenserhaltender Technik hat, empfindet sie als großes Privileg.

Die Corona-Krise hat für die Bloggerin ein neues Bewusstsein dafür geschaffen, wie wichtig es ist sich gegenseitig zu unterstützen, zu helfen und Verantwortung füreinander zu übernehmen. „Das soziale Miteinander, die Gemeinschaft, das WIR ist zu einem sehr kostbaren Gut geworden. Jede Minute, die ich mit meinen Liebsten verbringen darf, ist kostbar und wertvolle Qualitytime. Mir ist klar geworden, wie zerbrechlich und vergänglich das Leben ist. Das man es Leben muss – hier und jetzt – denn man weiß nie was morgen kommt.“